Zu Potte kommen

300. Sendung »Was die Großmutter noch wusste« am Sonntag, 4. Mai 2003

Alle zwei Wochen wird die Schweiz nach Baden-Baden gebracht. Und über die Satellitenfrequenz des SÜDWEST Fernsehens in ganz Europa verschickt. Mit »Grüezi miteinander«, heißt die Tessinerin Kathrin Rüegg die Zuschauer der SWR-Kochsendung »Was die Großmutter noch wusste« sonntags frühabends um Viertel nach sechs willkommen. Ihr Partner Werner O. Feißt übersetzt diesen Gruß in die alemannische Variante, um gleich darauf mit der Frage »Was kochscht du denn heut'?«, die brandheiße Phase der 30-minütigen Koch- und Ratgebersendung einzuleiten. Am Sonntag, 4. Mai 2003 wird Großvater Feißt zum 300. Mal die Speisefrage stellen. Den Fastenbrechern sei vorneweg gesagt, dass es Schmackhaftes aus dem Dreiländereck in Basel gibt. Spargelcremesuppe aus dem Markgräflerland, ein Filet de Boef als Baseler Lummelbraten, der passend zur 300. Sendung bei 300 Grad in den Ofen kommt und eine elsässische Weinschaumcreme aus Gewürztraminer.

Ein bisschen Vermächtnis, ein Schuss Wehmut und ein Portion Weitblick mischen sich als besondere Zutaten in diese Jubiläumssendung. Der am 8. Juli 1929 in Freiburg geborene Feißt ist nicht nur alemannischer Badener von Geburt an, sondern auch im Herzen. Er war Mitglied des Alemannischen Kabaretts, hatte die Leitung der Freiburger Gehörlosen-Bühne und die Schriftleitung des Info-Blattes »d'r Suflörkachde« inne. 1959 kam er zum Südwestfunk nach Baden-Baden. Dort wurde er 1969 Hauptabteilungsleiter im Ausbildungs- und Familienprogramm. Somit war er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1995 für die telegene Bildung beim SWF verantwortlich. Dieses Amt brachte ihn Anfang der 80er Jahre in die Küche der Schweizerin Kathrin Rüegg, die damals ein Antiquitätengeschäft in Basel betrieb. Feißt wollte auf unterhaltsame Weise das überkommene Wissen der Altvorderen ins Fernsehen bringen. Die Bildungslücken um Brauchtum, Bauernweisheiten und Blütentees sollte unter den jüngeren Bürgern nicht verloren gehen. So wurde sich der Badener mit der Baslerin schnell handelseinig und am 6. März 1982 ging die erst 52-jährige Großmutter Rüegg mit ihrem ein halbes Jahr älteren Macher Feißt auf Sendung. Auf die Osterbräuche folgten die Maibräuche und bald alles rund um Kultur und Kulinarik.

Autoritärer Schnupperbär

Über die Küche aus den Schweizer Kantonen bereitete sich das Wissen der Großmutter bis nach Kreta über fast über ganz Europa aus. Themen wie die wundersame Wirkung von Olivenöl, der reinigende Segen des Knoblauch oder die Vorteile von Frischfisch wurden in den Sendungen der vergangenen 21 Jahren angerührt. Das immer nach einem festen Muster. In einem eigens gedrehten Einspielfilm geht es um Landes- und Lebensmittelkunde und im Studio wird gekocht, was Leib und Seele zusammenhält. Das kommt bei Feißts Konstitution umso glaubwürdiger rüber. Nicht gerade mit dem Antlitz eines hungernden Kochs versehen, schnubbert und schnüffelt er sich bei Kathrin durch Suppen und Saucen. Was die Großmutter weiß, weiß er oft noch besser. Kathrins Lieblingsspeise Risotto ist dann ein Reisgereicht aus der Poebene, Zabaione nichts anderes als Schaumcreme und Pinot Grigio halt eben ein Grauburgunder, am besten ein badischer.

»Wenn Werner schnuppert - zum Beispiel, weil es in einem Kochtopf gut riecht - dann schnuppert er wie ein Bär. Wenn er um etwas Essbares bettelt, kommt er mir vor wie das Berner Wappentier aus dem Bärengraben. Und wenn er wütend ist, dann gleicht sein Gebrüll demjenigen eines Grizzly-Bären, vor dem sich jeder duckt und versteckt oder vorsichtshalber am besten wegrennt«, fasst Kathrin Rüegg die langjährige Erfahrung mit ihrem Werner zusammen und hält fest: »Irgendwo habe ich gelesen, Bären hätten Gemeinschaftssinn.« Und Feißt feixt zurück: »Als Pflanze wäre die Kathrin eine Artischocke, außen stachelig und robust, innen zart, fein und empfindlich. Denn aus dem Zweckmiteinander der gemeinsamen Sendungen ist längst etwas geworden, was ich Partnerschaft nennen möchte. Wir sind von unserem Geburtsdatum her wenig mehr als ein halbes Jahr voneinander getrennt. Sie ist jünger. Drum behandele ich sie auch oft wie meine jüngere Schwester. Für Kathrin aber bin ich der jüngere Bruder. Denn sie behandelt mich mit all der Toleranz, die eine ältere Schwester den Untugenden und Ungezogenheiten eines jüngeren Bruders entgegenbringt. Und natürlich ärgere ich die Kathrin. Doch sie ist beispiellos in ihrer Geduld mit mir.«

Von Harald Schmidt zum Kult erhoben

Dabei handelt es sich um eine Geduld, die im Team um die »Großmutter« jeder gerne einbringt. Mit genauen Vorstellungen von jeder Sendung kommt Regisseur Jean-Marie Perrochat auf den Punkt, nehmen die Kameraleute einen Dreh noch mal und noch mal auf und wacht über allen und allem Assistentin, Produzentin, Ideengeberin, Lebensmitteleinkäuferin und gute Fee Annette Wackershauser auf alle Details der Sendungen. Sie verbietet dem Schnupperbär, sich an den Requisiten, also an den vorbereiteten Speisen, vor Aufzeichnungsende zu vergreifen, sie organisiert die Reisen zu Drehorten und managt die regelmäßigen Fahrten zu Kathrins Wohnort Gerra am hinteren Ende des Vercasca-Tals im schweizerischen Tessin.

Denn dort wird jede Sendung vor der Aufzeichnung im Wortsinne durchgekaut: vergessene Hausmanns-Rezepte aus foliantengroßen Kochbüchern werden in den Tessiner Kesseln wiederbelebt, nachgekocht und probiert. An der mit wärmenden Schafsfellen versehenen steinernen Sitzgruppe vor Kathrins Rustici wird abschließend beraten, ob das angedachte Thema ein »gefundenes Fressen« für die Fleischtöpfe in der Fernsehküche ist. So zu Potte gekommen werden pro Jahr 22 Sendungen ins SÜDWEST Fernsehen gebracht mit einem durchschnittlichen Marktanteil von 10,2 Prozent und bundesweit 630.000 Zuschauern. Dabei zählen nicht nur die Großeltern oder gar Suppenkasper zu den treuen Zuschauern. Rund 140.000 Internetzugriffe pro Monat auf die sogenannte Homepage www.swr.de/grossmutter weisen eher auf jüngere bis mittlere Altersschichten hin, die die Großmutter-Sendung im sonntäglichen Zwei-Wochen-Rhythmus um 18.15 Uhr dem Abendbrot vorziehen. Und selbst junge Menschen im Konfirmandenalter nennen die »Großmutter« an vorderster Stelle, wenn man sie nach dem SÜDWEST Fernsehen fragt.

Dass fiel sogar Harald Schmidt auf, der in seiner Sat-1-Show Werner O. Feißt zum Liebling eines ganzen Monats machte. Spätestens ab dann wurde aus der ältesten bestehenden Kochsendung im deutschen Fernsehen ein Kultereignis, das in die Nähe der medialen Unfehlbarkeit gerückt ist. Ganz mulmig wird es den beiden Protagonisten bei diesem Status dennoch. Vom Wissen bestätigt, dass auch die Alten nur mit Wasser kochen, betonen sie stets, die einfachen Dinge des Lebens auf den Tisch bringen zu wollen. Dinge, die leicht nachkochbar sind. Sachen, die schmecken ohne den Michelin auswendig gelernt zu haben. Ein Stück heile Welt ist die Großmutter-Sendung daher für viele Zuschauer. Etwas Heimat, etwas Wärme, ein wenig von dem, was früher irgendwie besser war, vermitteln die Sendungen. Die Betulichkeit des älter werdenden Schein-Ehepaares Rüegg-Feißt zeigt, dass Gutes schon immer gut war und Altbewährtes nie aus der Mode gekommen ist. In einem schnellen Medium wie dem Fernsehen wirkt dies umso mehr beruhigend. Als langsamste Kochsendung des deutschen Fernsehen wurde die Großmutter schon bezeichnet. Mit dem Zusatz, gerade deswegen die beste zu sein.

Die Botschaft der Großmutter

Das Geheimnis der Großmutter liegt deshalb im Wissen, das authentisch vermittelt wird. Wenn Kathrin sogar mal Tütensuppen lobt, denkt sie eben auch an die damit ermöglichte Arbeitsentlastung vieler Frauen, die früher noch viel mehr neben der Küche auch für Kinder, Kirche und Klamotten zuständig waren. Oder bei Werner ist es das Fett, das das Essen schmackhaft macht. Low Fat, Lightprodukte und Cholesterin-Armut sind bei ihm viel eher als schwere Sünde eingestuft. »Schmecken muss es halt und wer gut isst, der ist auch gut«, lautet seine Botschaft. Essen kommt nicht von fressen, und Maß nicht von Masse. Eine Erkenntnis, die der Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm bestätigen kann. Er ist in jeder zweiten Sendung der Großmutter als wissenschaftlicher Ansprechpartner dabei. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich der Infarktprophylaxe. Herzattacken zu vermeiden, geht nach Worms Meinung eher mit natürlichen Dingen und weniger mit der Verteufelung des Cholesterins. Um diese Botschaft auch medizinisch zu untermauern, haben die Sendungsmacher die Ärztin Ina Ilkhanipur ins Studio geholt. Eine Großmutter-Weißheit wie »Pferde, die laufen, sollen saufen« wird von ihr übersetzt in den Lobgesang des guten Essens bei regelmäßiger Bewegung. Für Gleichgesinnte und Anhänger dieser Großmuter-Einsicht haben die beiden neben den Medien Fernsehen und Internet im Müller-Rüschlikon Verlag inzwischen 14 Bücher veröffentlicht. Als Zutaten machen Kochrezepte, Warenkunde , regelrecht inszenierte Food-Fotografie und literarische Reisegeschichten die Bücher zu Geschenken für die Leser. Werner O. Feißt zeigt sich darin als Autor der athmosphärischen Beschreibung und Kathrin Rüegg als liebevolle Beobachterin all der Details, die im Leben so wichtig und oft übersehen werden. »Kathrin, Werner und die Schweizer Küche« heißt der Titel des jüngsten Buches. Hier kommt das Duo da an, wo sie vor 21 Jahren gestartet sind. Es ist ein Rückblick und Ausblick zugleich und eine Hommage an die Schweiz. Im Herbst kommt der 15. Band auf den Markt. Da hat sich diese Buchreihe bereits 500.000 Mal verkauft. Doch auch im Fernsehen wollen die zwei die Löffel noch lange nicht weitergeben. Bei der derzeitigen Schlagzahl der Großmutter-Sendungen von 22 Produktionen pro Jahr können die beiden Großeltern zum 30-jährigen Jubiläum in neun Jahren die 500. Sendung feiern. Doch ob dieses Fest gefeiert wird, weiß momentan tatsächlich nur der Himmel ganz allein.

Fotos von Werner O. Feißt und Kathrin Rüegg aus dem Dreiländereck in Basel finden Sie im Internet in Download-Qualität unter www.ard-foto.de

Und bei: http://www.rhytaxi-basel.ch/wassertaxi.html